Umschlag an den Leser

in einem Vorwort zu seinen gedruckten Predigten begründet Thieme die Herausgabe eines Bändchens
seiner Predigten.

Ich würde wohl nie so eitel gewesen sein, eine Predigt drucken zu lassen, wäre ich nicht dazu besonders veranlaßt.

Es wurde mir nemlich von Einem Hochwürdigen Oberconsistorio in Weimar die Concepte der Predigten 1. 2. 4. plötzlich abgefordert 1Die Predigten … durch… [Eränzung aus Oskar Thiemes „Zusammenstoss“]Die Veranlassung dazu kenne ich nicht; doch unterwerfe ich mich gern den Befehlen meiner Obrigkeit. Nur gilt es hier des zartesten aller Erdbande, das Band des Vertrauens zwischen Seelsorger und seiner Gemeine, das hiebei zerrissen oder desto inniger und steter geknüpft werden muß. Der unruhige Verdacht war zu schnell rege, als ob meine Lehre für tadelnswerth könne gehalten werden, und ich fand mich dadurch veranlaßt, diese Predigten in eben dem Zustande als ich sie meinen Oberen eingereicht — nur noch in Begleitung zweier andern, die zu einer Woche, zu einem Gusse und in Ein Gespräch des Tages gehören, — der Presse zu übergeben.

Weil Bücherschreiben so bequem und vornehm und leichter ist als Kinder zu erziehn und Kranke zu besuchen, habe ich bis jetzt lieber mit Schweiß schreiben wollen als mit Tinte. — Wer aber auch mein Gedränge von Schulstunden nicht kennt, wer nur aus seinem Predigerleben erfuhr, welche Arbeiten sich besonders in eine Charwoche zusammendrängen, der fühlts, wie weh es tun muß, wenn solche Brocken und Entwürfe weniger Morgenstunden aus der Bruderfamilie einer kleinen Gemeinde in das größere Publikum gerissen werden, in dem nun jeder Mißwollende Jahrelang Zeit hat daran zu richten. —

Doch habe ich hier nun weiter nichts zu thun, als dem, übrigens geliebten Unbekannten, der jene officiellen Schritte veranlaßt, noch diese Erklärung hinzuzufügen.

Ich habe immer gewünscht ein ehrlicher Mann zu sein, und daher auch die Bibel ohne künstliche Vermeidung gewisser Lehren gepredigt. Gott kennt meinen Schmerz nach Wahrheit, meinen Gram nach Licht! meine Thränen — meine Nachtwachen — und hat mein bald nun graues Haar gezählt. Er weiß, wie ich ihn am Sonntag Morgen angerufen um Stärkung meines schwachen, meiner eigenen Vernunft oft noch so heftig widersprechenden Glaubens, — damit ich vor der Gemeine nicht erscheine als ein Heuchler. Ich habe auch nicht eher die Kanzel mit Muth und Vetrauen auf Gottes Seegen betreten können, bis ich wahrer war, bis ich im Glauben an Christus als meinen Erlöser fester wurde. In dem man gegen die Jesuiten geeifert um des Grundsatzes willen, „daß der gute Zweck alle Mittel heilige“ — indem man den Herrn v. Haller 2Albrecht von Haller bitter getadelt, daß er noch einige Wochen äußerlich Protestant, als er schon zur katholischen Kirche gehörte, habe ich schmerzlich gefühlt, daß wir ja selbst, so lange wir gegen unsere Überzeugung noch im schwarzen Rocke bleiben, solange wir vor dem Volke nur thun, als ob wir noch an die biblische Geschichte glaubten, wir nicht anders handeln als sie, und die Kanzel als den Stuhl der Wahrheit entweihen. — — Wir sollen auf diesem Stuhle den Tod Jesu für die Wahrheit verkündigen, sollen Luthers Tapferkeit für die Bibel laut preisen, sollen die Kinder darauf einseegnen, im Glauben an dieses Wort zu verharren bis auf ihr seeliges Ende, und Gott im neuen Kirchengebete um Lehrer bitten, die sein Evangelium mit Kraft verkündigen: — Fiel jenem Unbekannten vielleicht in diesen Predigten gerade die Wärme und der kleine Antheil von Kraft auf, mit dem ich mich verpflichtet hielt, die stille Majestät Christi dem Unglauben entgegen zu halten. Würden ihm vielleicht die selben Ausdrücke, die ihm verdammlich schienen, geheiligt heißen, wenn sie gegen den Überglauben gerichtet waren? — Man sage es denn etwas entschiedener und lauter, daß der Unglaube an Gottes Sohn gerade die Kultur sei, die der Prediger allmählig befördern helfen solle! — O wenn wir erst fürchten sollten, daß man mit Fingern auf den Prediger zeigen werde, der „zu christlich predigt“ — daß man es wol gar für eine officielle Empörung gegen die Vernunft nehme, wenn wir Christum nennen unsern Herrn und Gott, — — dann möchte uns Kelch und Bibel aus der zitternden Hand stürzen und wir das drückende Loos der Armuth der Rolle eines solchen Standes vorziehn.

Nein, der Gott, der uns selbst die welterlösende Jesus–Idee „der versöhnenden Liebe“ neben dem heiligen Ärgernisse seines historischen Sohns zu treuer Verwaltung übergab, hat wol ein anderes durch uns mit seiner Bibel vor. Er soll wol die Herrlichkeit aller Wissenschaft, es sollen alle Secten der Weisen, alle erbitterte Schulen der Zeiten sich immer von neuem beugen, — hier an der Gränze ihres Wissens — hier unter der göttlichen Thorheit des Kreuzes, hier finden aller Vernünfte Vernunft Weg und Wahrheit allein; damit kein Gelahrter sich besser dünke als sein einfältiger Bruder, — daß wir nicht wieder in Indianischen Volkskasten zurückfallen, sondern einer sei dem andere unterthan — und eine duldende verblutende Liebe für alle sei die Weisheit eines immer herrlichen Geschlechts! —

Und darum kann ich auch wegen des Übrigen gtrost sein. Diese Predigten liegen nun offen da vor den Augen unsers glorreich klaren Fürsten, der alle Tapferkeit und auch die für das alte Evangelium ehrt; — der seinen Kepler und Newton wol im Stillen darum um so höher achtet, weil sie als Riesengeister noch vor dem Geheimniß der Erlösung Christi ihr Mützchen zogen, und welcher — wenn so eine etwas südliche Wärme in den Weimarischen Breitengrad tritt, eben so wenig davor erschrickt, als über den kommenden Frühling, um so mehr da Er bald selbst dem ewigen Frühling entgegen sieht.

Sie liegen ferner in den Händen eines hochwürdigen Collegiums, das auf die Bibel als auf die MAGNA CHARTA aller Volksruhe und unsrer Seeligkeit schwur; das zu reinen Herzens ist, um das Heiligthum aller christlichen Staaten zweideutig behandeln zu lassen, und das selbst in unserm biblischen Erlöser nicht etwa ein Volksgespenst nur duldet, sondern von dem man nicht anders erwarten darf, als daß es zum hohen Trost unseres armen, in der Angst der Zeit zitternden Volks, zu Beruhigung seiner treuen Geistlichen und zu seiner eignen Versöhnung beim himmlichen Vater glaubt

        „an Jesum Christum Gottes eingebornen
              Sohn, der empfangen ist vom heiligen
              Geist, geboren von der Jungfrau Maria,
              gelitten u. s. w.“

                                                                              Dr. Aug. Thieme