Am Palmsonntage

Vom Einzuge Christi.
[Ilmenau 31. März 1822]


Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet! Damit schlossen wir den letzten Vortrag, und damit beginnen wir den neuen und sollten oder könnten wol Alle damit beginnen.

    Jesus ist ein klarer Spiegel Gottes, so fleckenlos uns gegenüber gestellt, dass Jeder darin seinen Werth und Unwerth bald erkennt. Und dieser Spiegel ist in einen Rahmen von Fleisch gefasst, ist – Gottes Bild, – als Mensch.

    Gleiches erkennt das Gleiche. Ist der Mensch nun selbst noch fast nichts als ein Rahmen, ein rohes Fleisch und Erde, in dem noch Erdgeist vorherrscht; der sieht auch in Jesus nur noch Erde, nur den Juden von Fleisch, und zieht seine Gottheit gerade so gemein herab, als er selbst ist.

    Ist der Mensch aber von der Art Leuten, die man gemeinhin gemüthlich nennt, in denen zwar auch schon ein sittlich Gefühl erwacht, die aber noch ohne besondern Kampf mit sich, noch ohne heißere Sehnsuchtsfragen nach Oben, noch alle, auch die eigenen Sünden mit dem Namen menschlicher Schwachheiten übermänteln und betrösten; – der verschweigt nach seiner Meinung gutmüthig, was Jesus zum Nachtheil gereichen möchte, der möchte den einfältigen Glauben des armen Volks nicht stören; der geht auch wol zuweilen mit zum Abendmahl, als zum Gedächtniß des Weisen, ja weint auch wol eine empfindsame Thräne, daß es einen guten Menschen so schlecht gehen kann, wie es dem – Jesus ging.

    Ist es aber einer von jenen Geistern, die genährt mit dem Gefühle des Rechts – kämpfen möcten bis aufs Blut – auswärts – daß es besser werde auf Erden; der freut sich, wenn Jesus zürnt, wenn er von Otterngezücht redet. wenn er die Wechsler stäubt [?]; er jauchzt in seinen Tod und möchte als Märtyrer mit ihm in alle Pulverflammen der Zeit. Er freut sich, wenn er an diesem Menschen Jesus, – den ja die Kirche verehrt, – Etwas findet, worauf er sich berufen könnte. – Aber, weil – er in Jesus – eben nur einen Menschen gesehn, so hat er ihn eben darum nicht recht gesehn, eben so wenig als jenes Volk unserer Zeit, das in  s e i n e m  Namen dem Feinde Rache schwur.

    Ist aber der Mensch höher entwickelt, ist er unruhiger erwacht über sich, – hat er tiefer in sein Leben gesehn und gefragt, wozu das führe und was das solle, und nun im Gefühl seine Gränzen und Schwäche sich nach einem heiligen Musterbilde gesehnt, dem er ruhig folgen, dem er seelig nachstreben könnte, – in der ganzen Geschichte der Menschen aber Niemand gefunden, der Jesu ähnlich wäre, dann sucht er bald seinen täglichen Umgang und wills mit ihm versuchen. Er folgt nach und findet neue Seeligkeit, und nun erst wird bald ein ganz anderer und immer höherer Jesus, der mit ihm und doch immer wieder über ihn steigt. Kein Wunder ist ihm mehr rätselhaft, und er ahndet immer deutlicher in Jesu seine eigene ursprüngliche Engel- und Schöpferkraft.

    Und so wird denn jedes Evangelium, in dem Jesus erscheint, immer tiefer unser aller Richter sein, je nachdem wir es erklären nach unser eigenen Höhe oder Tiefe, nach unserem Glauben oder unserm Unglauben, nach unserm himmlischen oder irdischen Sinne.

    Unsere Liebe zu Jesu wird Gebet. Wir bitten ihn, vor dem sich alle Kniee zuletzt beugen müssen, um das Gefühl seiner gnädigen Nähe! Wir bitten ihn – unsre Ruh – daß wir in Thränen – uns bis in das Grab, nach ihm dürfen sehnen, in dem Verse Nro.80, “Jesu du” –

E v a n g e l i u m.

[wahrscheinlich Joh 12, 12-19

 Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, daß Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!

   Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht: »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.

   Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.

    Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.
]

Zweimal wirds jährlich verlesen dies Evangelium. Wer kennt nicht die alten Palmen und das alte Thor von Jerusalem! – überhaupt – den alten Jesus! Wer da blos einen Menschen sieht und nicht eine höhere Natur, und – wem nichts Tieferes hinter der ganzen Geschichte liegt, wie kalt und todt muß sie dem sein. Kleinen Kindern im Schooße erzählt man dann noch die alte Fabel von jenem seltsamen Zimmergesellen, der einst unter dem Pöbel gelebt und den die Leute für Gott gehalten. Aber – wer schon die Kinderschuhe ausgetreten hat, ein feiner gebildeter, wol gar gereifter Bürgersmann, – was soll sich  d e r  solchen Einzug Jesu wiederholen lassen, da er wol ganz andere prächtige Monarcheneinzüge in irgendeine Residenz gesehn. Und was soll denn höheren Ständen noch der alte Oelberg und jener kleine Tempel! Kennen sie doch ganz andere Volksumzüge der Geschichte und berühmte Männer, wo Weise gekrönt wurden im Zulaufe des Volks. Sie führen euch noch heute auf Roms Capitol, wo Dichter und Dichterinnen gekrönt werden unterm Vivat der Menge und Palmzweige aus allen Fenstern fliegen. Ganz anders zogen ihnen ja jene Kaiser und Feldherrn triumphierend ein in die Hauptstadt der Welt, mit Elephanten und gefesselten Königen und vorgetragenen Kronen und Sklavenheerden mit glänzenden Waffen und allem Plunder der Plünderung ein, die in gestreuten Palmen gewatet. Was soll ihnen noch sein der Zug des armen Christus?

Doch ein Anziehendes hat dieser Christus auch für manche höhere Classe noch! verherrlicht ist auch dieser Zug, ein Gegenstand der Kunst – die schöne Fabel der Kindheit, in Glas und Rahmen. Es ist als ob wir noch einmal Kinder würden, wenn wir die herrlichen Gestalten sehn, seine Geburt, seinen Einzug, – wie er die Kinder segnet! – Meint ihr, das diese[s] Gebilde der Heiland des Evangeliums sei, und daß er uns irgend etwas helfe, so er nicht als Gottes angebetetes Bild lebendig in unserm Herzen liegt?

Wir treten jetzt diesem Einzuge etwas näher. Seht ihr ihn nun an als ungläubige Erdkinder, seht ihr ihn blos als Menschen im Standpunkte irdischer Staaten, so als ob der Einzug heute geschähe, unter uns, (wie wir ja das Evangelium als ein heutiges und ewig anwendbares nehmen sollen) so werdet ihr bald auf die beunruhigende Frage kommen, ist hier vielleicht nicht der Geist einer Empörung verschleiert? – Und wir können dem nicht entweichen! Dann nehmen wir Jesum allein als menschlichen Unterthan, trotz aller Weisheit und Genie – sein ganzes bisheriges Leben bis zu diesem Zuge bleibt – ein Empörerzug. –

Zuerst: – Gegen alle Schicklichkeit und Art hat sich Jesus beim Volke festgesetzt. Indem er das Volk lehrt heiligen Geist von Gott zu erbeten, und so sein eigen heilig Gesetz zu sein, bildet er es nicht auf dem gewöhnlichen Wege von oben herein durch Befehle der Regierung, sondern von unten herauf. Wo das Residenzvolk in Jerusalem verdorben, wo die Sitte verpestet und die Krone dieses Menschenbaums verfault ist, da fängt dieser Jesus die Reinigung von unten an und schießt, wie die schrift gesagt, empor als ein frisch Reis aus der alten Wurzel.

Er hat ferner keiner Rücksicht genommen auf den Hof; er hat ihn vielmehr beleidigt. Herodes hätte so gern, so lange schon ein Wunder als Kunststück von ihm gesehn, und Jesus weicht drei Jahre lang aus, geheimnißvoll und räthselhaft, und will die weltliche Ehre nicht.

Dazu hat er allerhand schroffe, abentheuerliche, unerhörte Lehren gegeben. Seine Sprache ist schon so schneidend klar. Was man sonst gerne verschweigt, wovon in jener vornehmen Welt nicht mehr die Rede ist, das nennt er – laut bei Namen. Sonst wars so ruhig und lustbequem [?], und nun ist das Volk frappiert! ganz neue Ohren sind eröffnet für ganz neue Dinge. Was soll das werden?

Solange er indeß noch gegen das Laster predigt und die Tugend empfielt, so – nach Johannesweise, nach Prophetenart – muß ers wol treiben dürfen. Die Priester rächen sich gegen seinen Beifall beim Volk und – schimpften ihn – Schwärmer. Aber nun, als verlautet, daß Weiber ihn seelig preisen, das Fischersleute niederfallen und rufen: “mein Herr und Gott!” nun heißts, daß solcher Narr gefährlich werde dem Staate.

Man hat sich noch dazu von Jerusalem her bloß gegeben. Sie haben nach ihm gehascht und gegriffen und haben sich allemal – vergriffen! Das fordert strengern Ernst. Seine Häuflein werden Haufen! – wie? hatten sie nicht Recht – furchtsam zu sein in Erwartung naher Revolutionen? war nicht in Juda schon Blut genug geflossen? waren nicht die Brüder Herodes Schattenkönige nur, und suchten nicht die mächtigen Römernachbarn blos Gelegenheit, das kleine Juda vollends zu verschlingen? Alle Gemüther waren gereizt und überreizt.

Man that neue Gewaltschritte, Das Synedrium hatte Befehl erlassen ins Land: es solle sich Niemand unterstehn, ihn für den Messisas zu halten bei Strafe des Kirchenbanns!

Und was thut nun der Jesus doch und dennoch? – Wars nicht des Menschen – Jesus Pflicht, von seinem Königreiche zu schweigen, weil es seine Obern als Träume anerkannt hatten? hatte er nicht selbst gelehrt unterthan zu sein der Obrigkeit? Nichts desto weniger zieht er, strömt er mitten im Pöbel heran im “Vivat der König!” Er bringt das ganze Jerusalem in Bewegung. Er dringt in den Tempel hinauf und stürzt die Tische der armen Leute um, die, wie man wol bei uns Kerzen und Gesangbücher an manchen Kirchenthüren verkauft, dort ihre Opfertauben feil hatten und – die Buben schrien im Heiligthum dazwischen!

Wie? wäre dieser ein Mensch wie wir – und zu unserer Zeit, – würde er nicht am andern Tage schon ins Irrenhaus geführt werden? und doch soll er zugleich derselbe sein, auf den wir unsere Kirche bauen, auf den wir leben und sterben sollen? – Welche Widersprüche! Darum –

Wer da nicht glaubt, der ist schon gerichtet! Er sieht den rechten Christus im Menschen nicht. Er bleibt auch hier ein Prüfstein zur Rechtfertigung Gottes! Denn –

1) W i e  z i e h t  d i e s e r  J e s u s  e i n?
Etwa im Bunde mit diesem Volke gegen die Obrigkeit? hat ers nicht immer von sich gewiesen, wen sie ihn wollten haschen und zum Könige machen? oder war etwa sein Reich von dieser Welt? – O wenn sie Hosianna rufen dem Sohne David, – als ob ers da nicht wüßte, wie sie eigentlich den kleinen David wiederwollen, den Hirtenjungen, der den prächtigen Weltriesen vor den hirnkasten trifft, daß er fällt! Er wußte ja was im Menschen war. er sieht ja auch dies Volk an als ein Gärtner sein verschiednes Blumenland, das er kennt. Er kennt ja seine Jünger – auch! – die, die noch nicht sein Streben verstehn, und die zur Zeit der Anfechtung abfallen werden beim ersten Hahnenruf! und ihr hättet denken können, daß er einen Bund hätte flechten wollen mit solchem dunkeln Volk, mit einemzu Theil so stumpfen Haufen, mit diesen zum Theil Rasenden, die nach wenigen Tagen ihr Hosianna verwandeln und rufen werden: sein Blut komme über uns und unsre Kinder! – Warlich nur selbst ein recht weltlich, auch unerfahrner Mensch kann glauben, daß ein Jesus einer so armseeligen schuldvollen Masse noch habe mit dem frechen Geiste des Aufruhrs schmeicheln wollen. Nein, wol wußte Jesus –

W a n n  e r  z o g! Jetzt, nur jetzt, nachdem er dem Volke so oft entwichen, ließ er dem Strome freien Lauf, um sich als einen ganz andern König zu verkünden. Jetzt erst, da Pilatus mit seinen römschen Cohorten wachsam stand, da alle obrigkeitliche Gewalten schon gegen ihn gerüstet stehn,weiß er, daß keine Empörung kommt und kommen kann, und daß er nur fällt – allein. Und so ist sein zug nur – ein Opferzug, der rührende Zug eines geschmückten Opferlamms zu seiner Schlachtung. So zieht er nicht mehr als Einer von dem Haufen, als Einer von dieser Welt, sondern als ein ganz anderer demüthig hoher Geist, der anderwärts wol hätte viel Freude haben mögen, und der nur unter uns erscheint, seines Vaters Werk zu erfüllen. Und – wenn wir fühlen, wie dieser Jesus heute, an diesem schönen Sonntagmorgen noch seine unsichtbaren Legionen Engel sendet in die ganze Christenheit, bis selbst in diese Stunde – in diese Worte hinein, so wissen wir nun auch, wie er damals wahrhaft hätte den Vater bitten können um mehr denn 12 Legionen Engel! denn – hätte sein Reich sein sollen von dieser Welt; er hätte sie ihm gegeben.

Wir widerholen die Frage: wie zieht er ein? aus den Fenstern der prächtigen Palläste in den Straßen Jeruslems sehen die lächelnden Höflinge herab und die Herren des hohen Raths und die Römer dazwischen. Aber welch ein Geist in der Tracht des menschlichen Fleisches es sei, der da auf dem Thiere des Friedens so sanftmüthig sitze, und wie weit dieser Zug, dieser Augenlick – selbst dieses arme Thier wol unter ihm werde in die Geschichte der Menscheit greifen, das – sehn sie nicht! –

Die Frage wird immer erneuert: wie zieht er ein? Er zieht mit Gottes Wort – das zu erfüllen. Sein Vater hat ja in diesem Propheten gesprochen . Ihre Gebete, ihre Seufzer nach Erlösung, ihre Verheißungen, die Nothwendigkeit ihrer Erösung hat ja Jesus unermeßlich tief gefühlt. Er hat ja die ganze ahnende Vorzeit genommen in sich. Was dort in dunkeln Geschichten sprach, was dort hinausgespanne war auf höhere menschliche Freiheit, das findet er in sich erklärt. Was dort Liebe gesucht und Gerechtigkeit gefordert, was Hoffnung heißt im alten Bunde, Jesus  i s t s  und er erkennts als sich. Wo sanftmuth steht, wo geduldet und die Unschuld verfolgt und geschlachtet wird; er ist es selbst und – Jesus heißt er nun, der Seeligmacher. Was dort in Thränen weint über das verlorne Volk, das strömt von neuem aus seinen Augen und Lippen! – So sehn wir ihn ziehn, sein prophetisches Wort im Herzen! – Habt ihr vergessen, daß er weinte über Jerusalem, als er es erblickte? daß er beten kann für seine Feinde drain? daß sein Herz schon oft geblutet, ehe noch hineingestochen war ? daß e ja  ni c h t s  w i l l  als sterben für alle, und daß in Thränen und Vlut alle seine Siege über die Meschen schwimmen? Siehe – hier ist der gemeine Mensch, der ehrgeizige empörer verschwunden. Ein sterbender Bote ist es von oben her, der für uns seinen Leib zum Opfertode führt. Er handelt ja nicht, wie wir als Menschen für uns wollen und unsern Willen ausführen. Er tuth ja seines Vaters Willen. Wenn er ihn fliehen heißt, so flieht er! wenn er ihn stehen heißt, so weilt er! wenn der ihn leiden und sterben heißt, so ist er gehorsam bis zum Tode am Kreuz!

Z u m  T e m p e l  geht sein Zug! und nun – besinnen wir uns! wozu kam denn ein Jesus auf Erden? war nicht sein ganzes Leben nur Einzug zum Heiligthum, um es zu reinigen? und war nicht jener Tempel, in welchem das heilige Feuer brannte, das große Erdenbild von jedem Menschen, wie auch Jesus gesagt: ihr seid der Tempel Gottes. Dazu war er ja gekommen, diesen verüsteten Herzenstempel wieder zu reinigen, wieder die verlöschte Lampe zu zünden. Wol hatte Jesus genug gesprochen durchs Wort. Jetzt bedurfte es zu seines Lebens Ende noch des sinnbildlichen Handelns, – der Prophetenthat, des äußeren Siegels seiner Vollmacht vom Vater.

Noch einmal geht er seinen alten Kinderweg hinauf zum Tempel. Seine Jünger mit ihm und das Volk! Noch einmal als Bote des heiligen Lebens. Von diesem Augenblicke an sieht er entweder alle fortgehende Heiligung der Menschheit vernichtet oder höher unterbaut. Schon drohen die römischen Adler wieder einzuziehen! Schon dünken ihn die griechischen Götter dort aufgestellt im Heiligthum des des einen Gottes. Er flieht die Wechsler, de – die Tempelschätze sammeln (für künftige römische Räuber) statt Schätze im Himmel. Er sieht die Metzelei der Opfer bei grausamen blutdürstigen Herzen, und nun! – – nun! – ein Thränenblick zu Gott – nun, mit gefaltener hochgehobener Hand, – im heiligen Schmerz, – – mein Vater! – – n deinem Namen! – – daß dein Reich komme! und dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel – – – Die Tische sind gestürzt!

Die Kinder jauchzen! – die Unschuldigen rufen Hosianna nun! Die Liebe kommt! der König kommt, der ewiges Leben uns bescheert! – Ob sies auch nicht verstehn! Wir sehn nun durch zwei Jahrtausende zurück auf Jesu Werke – für 
a l l e  Menschenkinder und – dieser Kinder ruf ertönt uns nun als ein Engellobgesang. Denn –

Meint ihr, daß ohne solche That Jesu die 1000 Dome und Kirchen der Erde ständen? und daß es aus ihren Thurmwäldern mit Glocken zu einem gereinigtern Heiligthume riefe?

Meint ihr, daß Winfried Bonifaz, der Apostel unsres Volks, in unserm Walde die heiigen Eichen der Heiden umgehauen und ihre Götzentempel gestürzt hätte, so Jesus ihn nicht durch diese That geweiht hätte auch zu eifern fürs Heiligthum?

Meint ihr, daß der demüthige Luther, da, als das ganze deutsche Berhaus (?) eine Mördergrube werden wollte, die Ablaßwechsler gestürzt, die Bulle verbrannt und Gottes Worte im Arme gesagt hätte: “ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen!” – ohne diese Jesus That?

Oder glaubt ihr, daß ohne diese […]liche Entscheidung Jesu Christi, indem er dem Tode hingegeben das Heiligthum reinigt, jene frommen protestantischen Fürsten ins Feld gezogen wären für Gotts Wort? oder waren diese würdigen Fürstenhäupter etwa Maschinen eines Weltrades und Thoren, die auf einen jüdischen Schulmeister ihre Thronen gebaut? waren ihre frommen Ahndungen Aberglaube, oder war es schändlicher eigennutz nach Kirchengütern allein, das sie zur Reformation bewog? Siehe da, “wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet;” der besudelt jene Fürsten noch im Grabe; der glaubt nicht mehr an die innere Hoheit der Thronen, der erschüttert, wie er auch unterthänig sich nenne, auch heute noch in demselben Grade die Thronen der Erde, als er das Wort Gottes verdächtig macht und in ihm den Glauben untergräbt an Gottes Sohn, auf dessen Blut allein die Thronen gebaut und die Herzen der Völker festgesittet sind.

Laßt uns denn mit Jesu gehn. Wir sind vielleicht wieder lange ohne ihn in der Welt umhergezogen! Laßt uns mit ihm denn nun ziehn, so friedlich wie er, so wahr wie er und doch so wie er in stillen Thränen für die Feinde betend. So werden wir das Heiligthum unserer Herzen und mit ihm – das Heiligthum der Kirche und des Staates immer reiner erhalten. O zögen jetzt die Völker immer so mit Jesus, – zögen sie immer in  d e r  Absicht, nun erst ihren Tempel – da – ihr Herz zu reinigen, – hätten sie in dieser wüsten Zeit, eh sie murren, auch erst wie Jesus in der Wüste der Versuchungen der irdischen Güter widerstanden, ja hätte Jeder, wie es Jesus auch that, nicht gesucht was des Einzelnen sondern was des Ganzen ist, – wie ganz anders wäre würde es da unter uns sein! – fragt euch, habt ihr, ehe ihr unruhig über die Ereignisse der Zeit geurtheilt, auch erst Gericht gehalten über euch? habt ihr, wie dieser Jesus auch in diesen Tagen gebetet, und zwar wirklich herzlich gebetet für eure Fürsten, für die Stände des Landes, für die Hohenpriester, daß Gott ihr Herz regiere? – O hättet ihr das gethan, dann würden auch gute Engel euch dienen, dann würden euch die irdischen Lasten weniger drückn, dann würdet ihr auf allen Thronen Väter finden und es [würde solcher Eine Herde und Ein Hirt sein.]

Aber das – das kann denn freilich nur der, der da glaubt, daß in Einem Gottes Sohn, in einem hohen und immer höhern […] aller künftigen Kaiser und Könige die Erlösung der Menscheit bedingt und ihm […] unsere Staaten und Regierungen eine heiligende Leitung übergeben sei; an einen Gott der unser Bruder war und bleiben wird, und unter dem wir alle, wir viel Glieder, Millionen, Gaben, Kräfte und […] wir auch wären, wir uns vereinigen sollen in gegenseitiger Liebe und Demuth als Ein Leib unter Einem heiligen Haupte!

Und – mit diesem denn auch nur allein, sagen wir noch  e i n m a l, wollen wir ziehn und zwar nun zuerst in die stille Charwoche hinein, zu der Seeligkeit seiner letzten Stunden hinein, und aus diesen zu der Wahl besserer […] hinein, als diese Welt uns geben und nehmen kann. Ihm laßt uns denn stile Palmen streun! Jede dem Feinde gereichte Hand ist ja eine ihm gestreute Palme! Ja ruhig laßt ihm auch uns hinwerfen unser Kleid […] unser Seele Kleid, dieses Todtenhemd von Fleisch, das wir eine Weile nur tragen, und wofür uns seine Liebe einst schmücken will mit einem himmlischen Kleide. Bald – bald ziehen wir mit ihm ein zu einem gaz andern Jerusalem – der hochgebauten Friedensstadt – in jenen großen Gottesacker dort oben voll Kreuze und Sterne, voll Vaterwohnungen und bereiteten Stätten! Dort werden wir erst das rechte Hosianna ind er Höhe verstehn! Jetzt aber, noch in der Tiefe, unter den Gräbern des Erdballs, wollen wir an ihm halten, ihm folgen und wenn wir ihm nichts weiter bringen können, uns unter einander zusingen

 Jesus lebt, sein Heil ist mein,
    Sein sei auch mein ganzes Leben,
    Reines Herzens will ich sein u.s.w.

[Und den Lüsten widerstreben.
Er verläßt den Schwachen nicht;
Dies ist meine Zuversicht.

Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769)]


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