Am Charfreitage

als Bußtage.
[Ilmenau, 5. April 1822]


“Christus hat unsere Sünden selbst geopfert an seinem Leibe auf dem Holze, auf daß wir der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben; durch welches Wunden ihr seid heil geworden!”

Das ist unser Bußtext und fürwahr in ihm ein hohes wort, an dem wir wieder Geister unterscheiden können! eines von denen, die Gott auf die Erde herabwarf, um allen kindischen Stolz, alle Selbstgerechtigkeit zu entblößen! – Wem diese Lehre noch anekelt, wessen Vernunft vom Verdienste Christi noch beleidigt wird,- der ist auch hier wieder gerichtet!

Aber Erklärung will der Regent unsers Lebens in dieser Zeit. Eine zuversichtlichere entschiedenere Richtung für den Glauben an Gottes Sohn oder gegen ihn!

Und damit wir denn nicht vergessen, daß wir heute noch im Schooße des Evangeliums, – daß wir nicht umsonst im alten weimarischen Lande leben; damit wir nicht zuletzt den Frieden der Heiden vertauschen mit dem Frieden Christi; damit keine künstliche Verdrehung der Bibelräuber unsern Glauben verirren, ist auf hochfürstlichen Befehl uns dieser apostolische Text gegeben.

Es ist daher in diesem Text ausgesprochen von dem ganzen Volke ein frommes Einwilligen in Jesa [Jesu?] Vorschrift. Es ist dadurch von neuem anerkannt die wunderbare Ordnung, mit der Gott in Jesu auf Erden noch heute wirkt. Es ist dadurch uns allen eine Hinweisung gegeben auf Jesu blutig Verdienst. – Zugleich aber ist im Bußzettel allen Trägen ein Wink gegeben, nicht zu glauben an irgend eine blind verliehene Gnade und an einen Christenadel, ohne eigenen Gebrauch und Uebung unserer sittlichen Kräfte.

Wir werden diesem Text nun näher treten. Laßt uns aber einen Augenblick vorher treten zu dem noch verhüllten Grabe unsers Erlösers! laßt uns mit Ruhe und Andacht der seeligen Sterbestunde dessen gedenken, dessen Verdienst die halbe Erde jetzt feiert. Ganz übereinstimmend mit diesem Texte singen wir:

In Christi Wunden schlaf ich ein,

Die machen mich von Sünden rein u.s.f.

Ja, Christi Blut und G’rechtigkeit,
ist mein Ornat und Ehrenkleid,

Damit will ich vor Gott bestehn,
Wenn ich zum Himmel werd’ eingehn.
Mit Fried’ und Freud’ ich fahr’ dahin,
Ein Gotteskind ich allzeit bin.

Dank hab’, mein Tod, du führest mich;
Ins ew’ge Leben wandre ich,
Mit Christi Blut gereinigt fein.
Herr Jesu, stärk den Glauben mein!
Paul Eber, 1569

T e x t:  1 Petri 2,24

Der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat
an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, 
der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.
Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.

Dieser Text spricht aus, das Christus sei  e i n  O p f e r  f ü r  u n s.
Opfer aber bringen wir, wie uns die gestrige Andacht belehrt, Gott darum,
weil wir uns verschuldet fühlen. Opfer soll unsere Dankbarkeit deuten,
soll den schwachen Versuch zeigen, daß wir Gott gern unser reinstes und Liebstes gäben, – wenn wir als Menschen nur ein  R e i n st e s wiederzugeben  h ä t t e n! Denn ob wir auch selbst ihm das ganze Leben brächten; es ist ja doch nur ein schuldvolles beflecktes Leben. Ein edles Herz findet ja seine besten Tugenden noch so zweideutig. wie wir uns auch marterten selbst und bluteten; – dem  H e i l i g s t e n, das immer über uns liegt, genügen wir doch durch und durch allein  n i e! – Ein reineres Opfer mußte für uns sprechen als wir alle sind.

Der Text weist uns hin auf ein  O p f e r   a m   H o l z. Es sammelt dies Wort alle unsere Aufmerksamkeit auf dieses Kreuz. Furchtbar ist die Schlachtbank des Sklaventodes Jesu. Auch nach so langer Zeit erschüttert uns solch blutig Schauspiel immer noch. Dieser ausgespannte zerfleischte Leib, – dies dornzerissene gesenkte Haupt, – dieser gebrochene Blick – diese offene blutende Brust, – muß Jeden ergreifen, der einen so grausamen Tod mit Jese Leben vergleicht, solch Ende als die Erndte für so viel heilige saat der Liebe erblickt. – – Aber jener Weise, der den giftbecher trank, jener der sich selbst die Adern eröffnete, starben ja auch schmerzlichen Tod für die Wahrheit. Wer das Leben am Ende der Apostel las oder
vo den spätern Märtyrern hörte, wie sie lebendig zersägt, geschunden, geröstet und von Bestien zerissen wurden; – ja wer nur etwas die Geschichte der Folterbänke – oder nur unsere Schlachtfelder kennt, dem möchte der Eindruck vom Tode unseres Mittlers – als eines Menschen – gar sehr geschwächt werden. Er hätte dann der Nachfolger gar viele gefunden, die ihn in erduldung körperlicher Schmerzen übertrafen! –

Ist aber  d a s  das Verdienst Jesu um uns? Ist er gestorben als Mensch für uns? Ist er etwa darum gestorben allein, um uns einen Beweis zu geben, wie hoch man  d i e  T u g e n d  a ch t e n  u n d  t a p f e r  f ü r  W a h r h e i t 
s t e r b e n  m ü s s e? Bei aller gezwungenen Erklärung der Schrift, dann hätten wir keinen Erlöser und Mittler mehr, der für uns starb und uns beim Vater verbürgt. Unser Text sagt: Christus ist gestorben für uns am Holz als ein Opfer. – Alle Tugendhelden die da starben, waren nicht mehr als wir. Sie können dem Vater kein gültig Opfer sein. Unser Herz kann nie gestehn: Sie haben dem
H e i l i g st e n  genug gethan.

G e o p f e r t  f ü r  u n s! Wir halten das Wort fest. Die letzten Krieger fielen auch als Opfer für uns und Vaterland, daß es b e s s e r  u n t e r  u n s  wurde! Ist etwa das – C h r i s t i  V e r d i e n s t  allein, daß er einen schönern Zustand auf Erden gebildet? Ist er darum gestorben? – Wol kommt keiner von allen Religionstiftern ihm bei! Keinem hat Gott so viel Seegen folgen lassen! Keiner hat so viel V e r d i e n st um unsere Staaten. Alle unsere herrlichen Gesetze, Anstalten und Einrichtungen weisen hin auf sein Licht. Unsere Lebensordnung, die besten Freuden, die wir genießen, aus welcher Quelle sind sie gestörmt? Wir stehn bei Jesu still. Fürwahr ein herrlich Verdienst um Erde und Menschheit, das kein anderer so mit seinem Toder errang.

Aber warlich für dieses arme Erdenleben ist Christus nicht gestorben; – nicht dafür, daß wir mit einer gebrechlichen Tugend uns so übel und böse durchhelfen bis an den Tod und dabei fein gesund bleiben, wenn wir mäßig wie Christus sind. Man muß schon die Gewißheit der Unsterblichkeit nicht mehr haben! man verräth daß man schon ein ewig Gericht verläugnet! man spricht es aus, daß man schon keine Zartheit und sittliche Tiefe des Gewissens mehr hat, wenn man mit solchem E r d v e r d i e n st Christi allein spielt. – Auch hier kommt durch die Gnade der Tod und Todesansicht!

Nein, hier ist die Rede von einem Opfer für alle  t i e f e r e n Herzen, die über dieser Erde noch Ruhe suchen, die an ein ewig steigend Leben unerschütterlich glauben, – an ein Opfer, das für alle bürgt, wenn unser Leben endet, das uns bei unserer niederschlagenden Schwäche und Gebrechlichkeit noch einen gnädigen Vater verheißt im ewigen Gericht! – Und  k e i n  M e n s c h kann der sein, – kein Weiser, dem Fürsten noch Pensionen geben können, – sondern die Fülle aller Weisheit aller Weisheit auch über i h n e n, ein menschliches höheres Urbild, ein brüderlicher Gott, ein Urahnherr von Oben, der die Plane zu Thronen und Reichen erst angelegt auf Erden, der auch die Hirten der Völker wählt, von dessen Gericht auch sie abhängen, vor dem auch sie ihr Knie beugen sollen. Also hhat die Allmacht die kleine Erde, – also hat der Vater seine Kinder, also hat Got die Welt, die Kaiser und die armen Züchtlinge in Ketten geliebt, daß er ihnen seinen eingebornen Sohn zum Vorbild, Mittler und Trost gegeben, auf daß alle, die an seine Herrlichkeit glauben, nicht sollen verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Es führe uns niemand zum Himmel, denn der vom Himmel kam!

Wir begegnen hier einer Klippe. Der Text sxhließt zu unserm Glauben und Seeligkeit noch eine Bedingung ein, nemlich die Worte:

 “auf daß wir der Sünde absterben und der Gerechtigkeit leben”

Man sagt uns von Menschen, die an einen Christus glauben sollen und doch dabei ruhig fortsündigen; die ihn recht nähmen zu ihren Sündendiener. Wir können uns nicht wol überzeugen, daß es wirklich solche Menschen gäbe. Denn etnweder wir glauben oder glauben n i ch t. Ein t o d t e r Glaube, von dem man spricht, ist eigentlich gar kein Glaube, ist eine Lüge in sich. Denn niemand kann ihm glauben, der ihn nicht l i e b t. Um ihn aber zu lieben muß mann ihn recht kennen. Wer ihn aber recht kennt, muß ihm n a c h f o l g e n! Wer aber ihm nachfolge und seine Lehre übt, muß auch im immer tieferem Gefühl seiner Erlösung und steigenden Seeligkeit an sich erfahren, daß er aus Gott ist! – Mögen dann Tausend sagen, daß sie sich seiner trösten! Sie lügen; sie trösten sich seiner n i c h t, solange sie noch muthwillig sündigen. Denn so wir muthwillig sündigen, sagt der Apostel, werden wir fürder kein Opfer mehr für uns haben, sondern das Gericht.

Und das versteht sich ja zu sehr von selbst! – Daß Christus mit seinem Kreuze den Stammbaum eines neuen himmlischen Geschlechts, der Christen – auf Erden gepflanzt, – ist nicht genug!

Nicht der in einem alten Stammbaum blos geboren ist, ist darum allein von wahren Adel!

Nicht der, über dem in der Taufe das Kreuz Christi geschlagen wurde, ist darum schon ein wahrer Christ! – Er empfing da nur die erste Weihe!

Kein feiger, kein unwürdiger Enkel der sich hinter die Tapferkeit und Jugend seines seeligen Ahnherrn verbergen und damit entschuldigen!

Kein lasterhafter Mensch darf bei fortgehenden Sünden allein auf das Verdienst und die Heiligkeit Jesu Christi bauen.

Nein! wie aller Adel auf Erden bald verschwinden würde, wenn nicht neue Wiederholung ihres Ahnherrn herrlich unter ihnen aufträte; so würde auch das Christenthum hinschwinden, wenn man sich blos auf den himmlischen Vorgänger Christus berufen wollte, ohne nach seinem Beispiele sein Leben zu erneuern. –

Und darum sollen wir sein glorreich Leben wiederholen in einem eignen herrlichen Christusleben, sonst werden wir aus der himmlischen Linie wieder in die Erdlinie und in Tod und Vernichtung herabfallen.

Aber ist hier nun C h r i st i  V e r d i e n st  b e e n d i g t, daß er uns gelockt in seine Nachfolge? ist er darum geopfert für uns am Holz? Ja, wenn dieses Leben Alles wäre! Aber dann schlössen wir auch Bibel und Kirche! – –
Aber das wahre h ö ch st e  O p f e r  für uns ist Christus e r st  b e i 
u n s e r m   E i n t r i t t   i n   e i n   h ö h e r e [s]  L e b e n!

Oder bedürften wier da des Opfers nicht? Wäre es nicht genug, sich dann auf 
G o t t e s  G e r e c h t i g k e i t zu berufen, die uns einst geben werde nach unsern schwachen Kräften und Werken? Wozu soll noch ein christus Blut und Gerechtigkeit – als Ehrenkleid, damit wir wollen vor Gott bestehn, wenn wir einst zum Himmel eingehn! Kann unsere Vernunft uns nicht beschwichtigen, wenn sie uns zuflüstert: “Gott werde zufrieden sein mit unsern guten Willen?” – –

O wir Heuchler allzumal, Große und Kleine, Alte und Junge, wir Alle, die wir beser scheinen als wir sind! wenn irgend Einer von uns seinen geheimen Sünden, seine unreinen Begierden, seine verborgensten Gedanken, die niemand kennt, hier plötzlich sollte zur Schau legen in unsrer Mitte; wie tief herabgewürdigt würde er sich fühlen! wie erschrocken würde er sich verborgen und bedeckt wünschen vor seiner Brüder Angesicht! wie würde er gestehn, daß er n i ch t  gethan, was er gekonnt, wie er keinen guten und reinen, sondern einen sehr unreinen Willen habe, und wie ihn selbst alle seine vermeinten Anstrengungen für die Tugend noch nicht entschuldigen für das Böse, das er gethan! – Und wir wollen es wagen, uns auf unsere eigene Gerechtigkeit zu berufen? Wer ist so tugendreich, daß er sich nicht schon in jedem Abendgebt gestehen müsse, daß er trotz der besten Vorsätze doch wieder gefehlt vor dem Reinen, da keiner rein ist? und die Schuldenlast eines ganzen Lebens, das Unbezahlbare von Versündigungen, was hinter unsern Rücken liegt, was wir nie wieder gut machen können, diese lange Kette von Flecken und Mängeln wollen wir hintragen in die Strahlen eines heiligen Lichts? hätten wir je ein Schönstes, ein Heilgstes über uns geahndet, wenn wir uns da n i c h t  sollten verdammlich finden, wenn wir da  n i c h t  sollten Versöhnung suchen? Und wenn wir nun, nach einem langen mühevollen ringenden leidenden Leben, an der Gränze stehn, und wir nun zurückblicken in unsere Vergangenheit und keine einzige so hohe
T u g e n d  darin finden, die uns über die vergangenen Schulden befriedigte, – werden wir arme Menschen dann nicht wünschen, daß abgewaschen wären alle Flecken, die uns entehrten wor Gott, und wird dann nicht ein heiliges unbeflecktes Menschenleben, wie es in Jesu war, uns mit

[Seite 53 unleserlich, daher unsicher:

Thränen der Beschämung …? Werden wir uns nicht Sehnen nach Einem, der uns verhüllte in seine Herrlichkeit, der uns einnähme in seine Unschuld vor dem Auge des himmlischen Vaters?

Nein, wir werden einst nichts …., damit wir würdig Gott gegenübertreten können! Wir werden auch nichts verlangen und hoffen können von ihm, wenn wir auch unser …

….

Darum sei uns wilkommen die …der Offenbarung, daß Jesus Christus für uns ist gestorben am Holz, nicht zu unserer ..]

bischen, sondern vielmehr zu unserer ewigen Seeligkeit! Sei uns willkommen der seelige Glaube an Einen Geliebten, um deßwillen auch unsere unvollkommenen Versuche ihn noch angenehm sind. Für uns wollen wirr denn nichts hoffen – aber in Christo alles. Wir wollen täglich an ihm der Sünde absterben, täglich mit ihm der Gerechtigkeit leben und dann demüthig vertrauen, daß unsere Mühen und Arbeiten, unser weinen und Bluten nicht ganz werde vergeblich sein in dem Herrn! – Bald ist das Tagewerk vollbracht! – Habe genug gelitten! mich müde gestritten! wer wird es sein, der nun alle meine Schulden tilgt, der mir den letzten Angstschweiß von der Stirn, die letzte Thräne aus den Augen wischt? – Du wirst es sein mein Versöhner, o Jesu! Du wirst erfüllen, was mir mangelt!

A m e n.