Originalität und Nachahmung

[ Blätter aus meiner Schreibtafel, in: Ruthenia (vorm. Sankt Petersburger Monatsschrift), 4. Jg. (1810), Bd. 2, Mai-Heft, S. 19-30; zit. S. 24-28]

Anbeterey und Nachahmung

    Die Vergleichung des Vorigen schon Dagewesenen zeigt uns freylich erst, wie alte Charten, neues Land; aber wer ewig nur mißt, spannt die Segel nicht. Immer nur Muster kopiren, Phrasen sammeln, Biographien käuen, zehnmal Uebersetztes um ein paar Wendungen willen wieder übersetzen und bettelmönchisch von Schriftstelle zu Schriftstelle schleichen, ob Schiller etwa einen Gedanken von Sophokles habe etc., ist Ameisenwerk und verräth die Sclavenseele. Auch sterben die Produkte dieser Mosaiker, wie aller bloß gesammelte Registerkram, an ihrem ersten Nachfolger, der noch besser sammelt. So ist es kein Wunder, daß die Grübler mit sich selbst nicht fertig werden, da sie in der Angst des Einzelnen untergehn, immer nur nach dem Zufälligen greifen und das Ewignothwendige dabey verlieren. So spießt der Insektensammler tausend Käfer, und bricht Hals und Beine auf seinen Jagden – um die Einzelheiten alle zu haben, und ohne ein höheres Ziel, auf das sein Naturstudium leiten sollte. So haben die Jünger Jean Pauls, – der zartesten Seele, die vielleicht je in menschlichen Körpern erschien und ihrer Zeit die ganze Sprache der Liebe und Unendlichkeit aufdrücken wollte – nur Krämpfe von ihren Diebstählen; überall matte Halbwollust – scharfes Gewürz – und Theriakenopium, – woher denn ihr Marasmus fogt, – indeß nur der ihn in sich weiter auf die Nachwelt trägt, der den großen Kern seiner Blüthenwälder brach.  

[…] So wird auch keine sklavische Nachahmung krafterweckend seyn. Das Talent schreitet immer seiner Zeit voraus; der Anbeter kehrt immer auf den alten Pfad zurück. Kehrte mancher große Mann unsrer Nation, über dessen Leben so mancher Biograph sein eignes vergaß, – wieder ins Leben zurück, – er würde von neuem seine Zeitgenossen hinter sich zurücklassen. Alles Niederknieen aber vor fremden Werken raubt erst den Muth zur Uebertreffung. Man stellt sie als das non plus ultra hin, und verurtheilt so sich und Andere, immer nur auf die verstorbenen Geister zurückzustarren, statt sich selbst auf ihren Schultern in die Zukunft einzubauen.

Originalität

   Wenn wir sowenig unser nennen in dem ewig blühenden  Garten der Menschengedanken, welche der Weltgeist wie Blumenstaub durch alle Zeiten und Zonen führt; – wenn wenn alle wahrhaft große[n] Männer, uneingedenk der eitlen Namensunsterblichkeit, nur mit vollem unbefangenen Gemüth den Geist der Vergangenheit und Gegenwart verschlangen und – wieder von rüstigern Sprechern ergriffen und fortgetragen, sich ihrer eignen Vergessenheit freuten, sobald nur das allgemeine Gut der Menschheit dadurch vermehrt wurde, – so möchte vielleicht kein Egoismus armseliger ausfallen, als jene ängstliche Hascherey nach einer Originalität, welche sich alles allein zu verdanken scheint und, als über Welt und Zeit her entsprossen, auch das Eigne mit eifersüchtigem Eigensinn gegen die Umgebung bewacht. – Die ewige Wahrheit und Schönheit liegt aber, gleich unsrer unentbehrlichsten Nahrung, von keinen Hecken umzäunt, auf dem allgemeinen Felde des Lebens frey und offen da, und Alle sind hier eingeladen zur Arbeit und Ernte. So betrachtet der echte Gelehrte das Land der Ideen. Ihm giebt’s nichts Eigenthümliches, nichts Fremdes. Das Fremde wird ihm eigen, das Eigne allgemein.

       Wie stark denn auch Deine Saiten fibrieren, so klingen doch immer ähnliche Töne darin. Aber wenn Du nun einmal unter den fünfhundert Millionen Männern der Erde willst, daß die Deinen stärker durchschlagen und den eitlen Hall Deines Namens eine Zeitlang über Dein Grab tragen; so wird dies nur dann gelingen, wenn Du ganz den heiligen Geist Deiner Zeitbedürfnisse umfassest. Kein Sprung hilft da, – kein Nachschleichen, und alles, was von ihm abgeschnitten ist, kann kein Leben gewinnen. Die meisten leben in der Klage der Vorwelt, oder träumen im leeren Empyreum der Zukunft. Aber Dein Reich ist erst von dieser Welt; – die andere kommt dann von selbst. Nur wer die tausendfach hingeworfnen, zerstreuten Gold- und Silberschlacken seiner Umgebung von neuem in seinem Ofen schmilzt, kann ihr einen neuen edlern Stempel geben! – Nur wer das schönere Echo des Gesammtgeistes seiner Zeit wird, und sie so zum höhern Handeln ruft, heißt uns ein großes Original, und das Parlament der Zeitgenossen ruft von selbst ein weniges: ‚hört! hört!‘ – „